Die erste Forscher-Generation in Weihenstephan: Leberle, Schnegg, Ganzenmüller

November 06, 2023Nour Maarouf

Wenn es um die Brauwissenschaft geht, dann ist Weihenstephan nicht nur „die“ Adresse in Bayern, sondern auch weltweit. Der Ruhm der „Bayerischen Staatsbrauerei Weihenstephan“, gegründet sich nicht zuletzt auf der Arbeit vieler kreativer Köpfe, die die Brauwissenschaft vorangetrieben haben. Vielen Brauwissenschaftler, die an der Hochschule Weihenstephan gelehrt und geforscht haben, ist es zu verdanken, dass Weihenstephan zum renommiertesten Standort in „Sachen Bier“ wurde. Bereits zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts legten Forscher den Grundstein für innovative Braukunst. Dazu zählen insbesondere die Professoren Leberle, Schnegg und Ganzenmüller.

 

Prof. Theodor Ganzenmüller

Theodor Ganzenmüller wurde im Jahr 1864 in Augsburg geboren und besuchte in München die Volks-, Real- und anschließend die Königliche Industrieschule, bis er im Jahr 1883 in der maschinentechnischen Abteilung der „Technischen Hochschule München“ sein Studium aufnahm. Nach seinem Abschluss im Jahr 1887 war er als Maschinenbau-Ingenieur für „Lindes Eismaschinen AG“ und für die „Locomotivfabrik Krauss & Co.“ tätig. Im Jahr 1894 wurde er zum Professor an der „Königlich Bayerischen Akademie für Landwirtschaft und Brauwesen“ in Weihenstephan ernannt und 1904 in den Vorstand berufen. Ganzenmüller war auch Gründungsmitglied des Büros für Brauerei- und Mälzereibau, das 1906 in Weihenstephan ins Leben gerufen wurde.
Prof. Ganzenmüller war einer der bedeutendsten Hochschullehrer an der Akademie für Landwirtschaft und Brauwesen in Weihenstephan. Die wichtigste Innovation Prof. Ganzenmüllers war die Umstellung der Beheizung der Braupfannen von Kohle und Holz auf Dampf. Zu Beginn des Jahrhunderts eine revolutionäre Entwicklung, die anfangs für erhitzte Gemüter sorgte. Das „moderne“ Dampfbier galt als weniger aromatisch und vollmundig als das althergebrachte „Feuerbier“. Skeptische Zeitgenossen konnten aber schnell vom Gegenteil überzeugt werden. Die beiden Biere wurden an Konsumenten, darunter auch Braumeister und Fabrikanten, ohne Hinweis auf das Produktionsverfahren verköstigt, ohne dass diese einen Unterschied feststellen konnten. Nach der ersten Geschmacksprobe war das Vorurteil ausgeräumt und das „Dampfbier“ konnte seinen Siegeszug antreten.
Die Umstellung der Direktbefeuerung auf den Dampfbetrieb brachte Ganzenmüller den Spitznamen „Dampf-Theo“ ein – für Zeitgenossen eine treffende Bezeichnung, denn Ganzenmüller soll bei seiner Arbeit mitunter auch unter Dampf gestanden und seine Meinung mit Vehemenz und unter „Dampfdruck“ verteidigt haben. Für einen leidenschaftlichen Wissenschaftler und Visionär eine durchaus erforderliche Charaktereigenschaft. Ganzenmüller war immer einen Schritt voraus und erkannte schon in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts, dass seine Dampfanlagen einst durch Blockheizkraftwerke mit Verbrennungsmotoren abgelöst werden. Für die damalige Zeit eine nahezu utopische Vorstellung.

Ganzenmüllers Dampfmaschinen setzten sich als energiesparende Brauereianlagen schnell durch und wurden von vielen führenden Brauereien übernommen wie der Leicht-Brauerei in Vaihingen oder der Pschorr-Brauerei in München. Ganzenmüller gilt daher als der Vorreiter einer energieeffizienten Brautechnologie, die in den frühen 70er Jahre im Zuge der Erdölkrise wieder in den Fokus der Aufmerksamkeit gelangte. Eine der ersten Anlagen wurde in Freising zwischen 1911–1912 im Auftrag der Grafen Moy de Sons nach Anleitung von Ganzenmüller errichtet. Das großzügig angelegte Hofbrauhaus mit zahlreichen Nebengebäuden war seinerzeit auf dem neusten technischen Stand und galt als die modernste Brauerei in ganz Deutschland. Das Gebäude, in das dekorative Elemente des Jugendstils einflossen, steht heute unter Denkmalschutz. Mit dem Bau setzte Ganzenmüller Standards für die Architektur im Bereich der Brauwirtschaft. Der Architekturstil war über die Grenzen Bayerns hinaus prägend und wurde sogar in deutschen Kolonien wie Tsingtao in China übernommen.
Seinem Pioniergeist und seinem Engagement als Professor an der Hochschule ist es zu verdanken, dass viele Lehrstühle für Energie- und Umwelttechnik, der Lebensmittelindustrie sowie der Lebensmittelverpackungstechnik eingerichtet wurden. Ganzenmüller gilt bis heute als einer der bedeutendsten und innovativsten Professoren an der Akademie für Landwirtschaft und Brauwesen.
Der Ruf des Lehr- und Forschungszentrum Weihenstephan geht maßgeblich auf die visionären Ideen und technischen Errungenschaften Prof. Ganzenmüllers zurück.
Er gilt daher als einer der wichtigen Wegbereiter der modernen Braukunst. Für seine zahlreichen Verdienste wurde ihm von der Stadt Freising 1936, einem Jahr vor seinem Tod, die Ehrenbürgerwürde verliehen.

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