Es muss geforscht werden!
Zu den größten Veränderungen in der Geschichte des Bierbrauens war es im 19. Jahrhundert gekommen, als Bier dank der Industrialisierung in einem bisher nie gekannten Umfang produziert werden konnte. Auch die problematische Hefe und das schwierige untergärige Brauen hatten ihren Schrecken verloren. Die neuen Massenproduktionsanlagen stellten die Brauereiwirtschaft jedoch vor bisher völlig neue Aufgaben. Wie sollte das Bier in diesen großen Mengen am besten abgefüllt werden? Welche Rohstoffe eignen sich für größere Produktionen am besten? Wie steht es mit der Hygiene, dem Verbrauch von Wasser und Energie? Es gab unzählige Fragen, und ständig kamen neue hinzu.
Brauereikunst wurde zu einer Wissenschaft, der man sich in erster Linie an den Technischen Universitäten widmete.
Federführend wurde die Hochschule von Weihenstephan, die aus der Not heraus entstanden war. 1803 wurde in ganz Bayern die Säkularisation durchgeführt – Klöster wurden enteignet, ihr Grundbesitz dem Staat einverleibt. Klöster sollten nicht länger wie Inseln innerhalb des Staates wirken. Riesige Kunstschätze und kostbare Bibliotheken gingen in den Besitz des bayerischen Hofs über – aber die Klostergemäuer standen nur leer und hatten ihre einstige Funktion verloren. Im ehemaligen Kloster Weihenstephan richtete der bayerische Kurfürst deshalb eine Forstschule ein. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte wurde das Brauwesen revolutioniert, und es wurde immer deutlicher, dass im Bereich des Brauens geforscht werden musste. 1895 wurde deshalb die „Königliche bayerische Akademie für Landwirtschaften und Brauereien gegründet“. 1907 kam die Versuchsbrauerei dazu. Damit war die Basis für die akademische Forschung erschaffen.
Heute beraten Weihenstephan und anderer Technische Hochschulen weltweit die Brauereien bei ihrer Produktion.
Immer wieder Hefe …
Als der Däne Christian Hansen 1883 endlich die Hefe kultivieren konnte, dachte man, den Heiligen Gral der Bierbrauerei gefunden zu haben. Hefe besteht jedoch aus lebendigen Organsimen und verändert sich ständig.
Die Saccharomyces carlsbergensis, die Hansen 1883 isoliert hatte, ist eine Hybride der klassischen Bierhefe, der Saccharomyces cerevisiae. Es ist eine untergärige Hefe, die beim Brauen nach unten sinkt und nicht – wie beim obergärigen Bier – obenauf schwimmt und abgeschöpft werden muss. Da untergäriges Bier haltbarer ist, war es immer besonders beliebt, aber auch schwieriger herzustellen. Bis heute arbeiten die Brauer mit Hefekulturen, die aus der ersten dänischen Zucht stammen. DNS-Proben haben 2014 gezeigt, dass es zahlreiche Überreinstimmungen gibt. Die verwendeten Bierhefen sind ausschließlich Reinzuchthefen. Während an Trauben und Früchten natürliche Hefepilze wachsen, wird die heute verwendete Bierhefe im Labor gezüchtet. Da sich aber auch die Reinzuchthefen verändern, müssen sie ständig biologisch untersucht werden. Hefen können bei der Gärung eine Reihe unangenehmer Nebenprodukte entwickeln, die von Zucker bis zu unerwünschten Aromen reichen können.
Die Hefekulturen der Brauereien werden deshalb bei ständigen Betriebskontrollen unter die Lupe genommen und laufend verbessert. Mitte der 60er Jahre war untergäriges nicht pasteurisiertes Bier ca. acht Wochen haltbar – heute, nach Jahrzehnten intensiver Forschung – hat es eine durchschnittliche Haltbarkeit von einem halben Jahr erreicht.
Um die untergärige Hefe zu untersuchen, werden Hefekeime auf ein Medium angebracht und das Medium anschließend untersucht. Dabei ist auch die Art des Mediums von ausschlaggebender Wichtigkeit. Zu einer großen Veränderung im gesamten Bereich der Betriebskontrollen kam es Mitte der 60er Jahre, als das Nakagawa-Medium aus Japan in den Brauereien seinen Einzug machte. Mit ihm war nun ein Schnellnachweis möglich, schädliche Keime konnten schneller und sicherer erkannt und isoliert werden.